EU-Paket „Fit for 55“ soll bis 2035 Klimaneutralität bringen

Die Land- und Forstwirtschaft in der EU soll bis zum Jahr 2035 klimaneutral werden. Das entsprechende Klimaschutzpaket „Fit for 55“ besteht aus insgesamt zwölf unterschiedlichen Richtlinien und Verordnungen. Für die Land- und Forstwirtschaft zeichnen sich dadurch schon heute beträchtliche Änderungen ab.

EU-Paket Fit for 55 soll bis 2035 Klimaneutralität bringen
EU-Paket Fit for 55 soll bis 2035 Klimaneutralität bringen © Adobe Stock von oraziopuccio

Was steckt hinter dem Begriff „Fit for 55“

Herwig Beck betreibt eine Landwirtschaft in Schleswig-Holstein. Er ist gerade dabei, den Steckverbinder zu erneuern, der seinen Traktor mit dem Anhänger verbindet. Eine von hunderten Aufgaben, die bei diesem Beruf jährlich so nebenbei zu den eigentlichen Kerntätigkeiten anfallen.

Herr Beck ist mittlerweile also auch in der Welt der Power Steckverbinder zu Hause und weiß, wie wichtig dabei die Qualität ist, um unnötige Ausfälle zu vermeiden. Seit dem Sommer des vergangenen Jahres hat er jedoch ein weiteres Thema auf der Backe: Fit for 55.

Das ehrgeizige Ziel dieses von der EU initiierten Pakets ist, dass Europa bis zum Jahr 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden soll. Bis zum Jahr 2030 sollen dabei die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um mindestens 55 Prozent reduziert werden.

Grundsätzlich ist Herwig Back dafür, die Umwelt zu entlasten. Die Frage, die er sich jedoch im Zusammenhang mit Fit for 55 stellt: Welche Auswirkungen hat das nun konkret auf die Land- und Forstwirtschaft.

Die Auswirkungen von „Fit for 55“ auf die Land- und Forstwirtschaft

Ein Teil des Pakets betrifft unter anderem auch die Landnutzung. Die Land- und Forstwirtschaft sollen gemeinsam mit anderen Landnutzungsformen bis zum Jahr 2035 klimaneutral sein. Dabei werden auch sogenannte Nicht-CO₂-Emissionen einbezogen. Dazu gehört zum Beispiel auch der Ausstoß von Methan, der vor allem während des Verdauungsvorganges bei Rindern und Schafen sowie bei der Lagerung von Gülle und Festmist entsteht.

Die Frage, die sich Beck dabei stellt: Wie soll er das bloß seinen Kühen erklären? Die Antworten darauf gibt es bereits. Denn durch den technologischen Fortschritt ist es möglich, die Methan-Emissionen aus der Tierhaltung zumindest bis zum Jahr 2050 um etwa 30 Prozent zu reduzieren. Dazu stehen vor allem drei Möglichkeiten zur Verfügung:

  • Umstellung auf fettreichere Ernährung der Tiere. Dazu ist es erforderlich, den Fettanteil in der Trockenmasse von derzeit etwa 1,5 bis 3 Prozent auf 6 Prozent zu steigern.
  • Die Nutzung von entsprechenden Zusatzstoffen (wie beispielsweise Seetang) im Futter der Tiere.
  • Eine spezielle Züchtung von Rindern mit niedrigen Methan-Ausstoß.

Zumindest die ersten beiden Möglichkeiten lassen sich für einzelne Landwirte wie Herrn Beck einfach umsetzen, wenn dafür auch die entsprechenden Futtermittel von der Nahrungsindustrie zur Verfügung gestellt werden.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei Fit for 55 ist die Düngung der Felder. Viele Landwirte greifen im Moment dafür auf Stickstoffdünger zurück. Doch wird der Stickstoff nicht von den Pflanzen aufgenommen, entsteht dadurch Lachgas, das in die Atmosphäre entweicht. Dieses ist um ein Vielfaches stärker wirkendes Treibhausgas als Kohlendioxid und bleibt in der Atmosphäre für über 100 Jahre erhalten. Auch in diesem Fall wären Algen für Herrn Beck eine interessante Alternative zum chemischen Dünger.

Lösungen statt Verbote

Was Herwig Beck dabei die Sorgenfalten ins Gesicht treibt: Die Europäische Union hat mit Fit for 55 zwar einen Rahmen für die Reduzierung der Treibhausgase definiert. Sie gibt dabei vor, in welchem Ausmaß CO₂ ausgestoßen werden darf. Praktische Lösungen und Vorschläge zur Umsetzung bietet sie jedoch nicht an.

So ist jeder Landwirt selbst damit beauftragt, entsprechende individuelle Lösungen für seinen Betrieb zu finden. Das ist neben den vielfältigen Aufgaben, die ohnehin schon täglich erledigt werden müssen, nicht nur sehr zeitintensiv, sondern oftmals auch noch mit höheren Kosten verbunden.

Denn die Entwickler alternativer Futter- oder Düngemittel wollen ihre Forschungsarbeit schließlich auch reinvestiert haben. Wer nach entsprechenden Förderungen der Europäischen Union im Internet sucht, wird aktuell leider (noch) enttäuscht.

Das Ergebnis: Vor allem kleinere Landwirte wie Herwig Beck, deren Existenz oftmals ohnehin bereits auf wackeligen Beinen steht, können die gewünschten Änderungen einfach nicht finanzieren. Nach einer intensiven Kostenkalkulation kommen deshalb viele zu dem Ergebnis, dass es für sie das einfachste ist, ihren Betrieb einfach zu schließen oder ihn in einen größeren Verbund einzugliedern, obwohl die Hofübergabe eigentlich erst zum Pensionsantritt geplant war. Doch sind immer größere Betriebe auch tatsächlich das, was die Menschen in Europa wollen? Und vor allem: Werden die sich auch an die Vorgaben von Fit for 55 halten?

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